hurra!
es ist so schön, die laue sommernacht eis leckend unter freiem himmel zu verbringen und dabei nach sternschnuppen ausschau zu halten. genau in dem moment, als paula sensenheim, meine liebe kollegin aus dem sindronomologie-team, wieder eine feuerkugel am nachthimmel entdeckte, beobachtete ich bei ihr etwas außergewöhnliches: ihre zunge vollführte plötzlich, möglicherweise vom außerordentlich sauren biozitroneneis zusätzlich stimuliert, rasante rollbewegungen wie bei einem chamäleon und durchschlug dabei den boden des eisbechers, sodass dieser mehr einer leeren und durchfeuchteten klopapierrolle als einem essbehältnis ähnelte. mein erster gedanke: hurra, morbus reptiliensis ist da!
für die menschen um uns herum war paulas expressive und aufgrund des vorangegangenen eisgenusses überaus feuchte, schmatzende gesichtsmuskulatur- und zungenakrobatik allerdings eine überforderung. so mancher vermutete wohl, dass mit einer der zahlreichen sternschnuppen des heutigen abends ein alien, zumindest ein kosmologischer virus auf unserem planeten gelandet war. unsere zaungäste konnten – trotz der intensiven populärwissenschaftlichen öffentlichkeitsarbeit des kosmodrom-nowosindromsk zum faszinierenden thema morbus reptiliensis – mit paulas reptiliensis-schub und dem im anschluss daran ohnmachtsartigen tiefenentspannungszustand nichts anfangen und suchten panisch das weite.
nun erhoffe ich mir nützliche, handlungsorientierte inputs beim workshop “zungenschlag des kosmos – mit dem morbus reptiliensis glücklich werden”, den ich im rahmen des diesjährigen nowosindromsker outdoorkongresses besuchen werde. manche krankheiten dienen der heilung. ich denke, morbus reptiliensis ist eine davon.
das programm des outdoorkongresses
- ziel: die teilnehmenden können mit ihren morbus reptiliensis-schüben effektiver und kontrollierter umgehen und diese für die weiterentwicklung ihres persönlichen wohlbefindens nützen.
- workshop 1: “sprich alle wörter gleichzeitig aus!”
- workshop 2: “wie du mit dem morbus reptiliensis glücklich werden kannst”
- workshop 3: distanz-workshop (action learning): “wie du dich mit deiner zunge gegen den rest der welt verteidigen kannst”
- workshop 4: “reincarnation-day“ – “werde ein reptil und überlebe die menschheit!“ (embodiment training)
- musikalisches rahmenprogramm: “pissing tools” & “monsters of sense” featuring reptilio & frankie
- sportliches rahmenprogramm: “die welt ist eine scheibe” – experimentelle workout- und jagdübungen mit dem frisbee
- kulinarisches rahmenprogramm: “skurridrom-bar” & “bio- und psychodynamische werkskantine kn”
- hinweis des veranstalters: das kosmodrom-nowosindromsk dankt den menschen, tieren und all den anderen bewohnerinnen und bewohnern der wälder im nowosindromsker testgelände für ihre gastfreundschaft.
1. bericht aus der grube
datum, uhrzeit und ort unbekannt. hier ist norden. ich sitze in einer als schlangengrube (?) getarnten club lounge für die pausen während der workshops des outdoorkongresses und treffe hier unten interessante menschen (oder angehende reptilien?), die ihr mentales innerstes mit fortgeschrittenen, den ganzen körper kontrahierenden morbus reptiliensis-techniken nach außen stülpen und sich so in die persönliche freiheit einer mentalen postnormalität katapultieren wollen. gleich muss ich zurück in meine peergroup. das künstlerische rahmenprogramm mit den beiden bands “pissing tools” und “monsters of sense” ist empfehlenswert. es hilft uns allen sehr. bis bald.
2. bericht aus der grube
ich bin mit meinem morbus reptiliensis am gaumen so glücklich, dass ich nicht mehr aus der schlangengrube (?) will. ich habe entdeckt, dass mir die schleuderzungentechnik in kombination mit blindschleichenartigen ganzkörperkontraktionen am meisten entspricht. insbesondere mein wut und meine ängste würge ich mir so aus dem leib.
wenn ich mich bis zum rand der grube hochziehe, sehe ich zwei riesenechsen (?), die mich an meine kollegen cpt. curiosita und cnaco erinnern. sie hüpfen über eine mit dichtem nebel bedeckte wiese und spielen dabei mit einem weißen frisbee. im wald grunzen wildschweine oder in einzelarbeiten versenkte teilnehmende des outdoorkongresses (?). ich selbst bin noch in einem so genannten distanz-workshop, der den charakter eines selbstverteidigungskurses angenommen hat. das ziel ist, sich mit hilfe von kontrollierten stoßzungentechniken den rest der menschheit von leib zu halten. bis bald (?).
3. bericht aus der grube
die übungen des distanz-workshops führen zu bewundernswerten akrobatischen reptiliensisausbrüchen (heute habe ich mir mit der zunge beide ohrläppchen abgeleckt), gleichzeitig aber auch zu völliger orientierungslosigkeit, die mit besonderen visionen (?) einhergeht: für einige stunden befand ich mich im körper einer blindschleiche und sonnte mich auf einem granitfelsen. derzeit glaube ich wieder ein mensch zu sein. jedenfalls befinde ich mich in einer drei meter tiefen schlangengrube. wo sind die anderen teilnehmerinnen und teilnehmer? keine ahnung. manchmal höre ich ein eigenartiges röhren. ein hirsch?
letzte grüße aus der grube
möglicherweise habe ich mich in ein glückliches reptil verwandelt. während mich diese vorstellung mit großer genugtuung erfüllt, weiß ich, dass ich nicht das röhren eines hirsches, sondern das motorengeräusch eines baggers gehört habe, höchstwahrscheinlich jenes baggers, der gerade die grube zuschüttet, in der ich mich seit längerem befinde. Ich versuche dem baggerführer mit meiner zunge zu signalisieren, dass er sein renaturalisierungsvorhaben (= sinnlose gruben im wald zuschütten) stoppen soll. vielleicht bemerkt er mich. vielleicht auch nicht. jedenfalls: noch ein schönes leben. euer max norden
fritz
am abend berichtet der landwirt friedrich g. seinen stammtischfreunden, dass er beim zuschütten eigenartiger gruben, die er in seinem wald entdeckt hatte, einen offensichtlich psychisch gestörten mann beinahe bei lebendigem leib begrub.
dieser saß in einer der gruben, hielt eine weißes frisbee wie ein lenkrad in seinen händen und streckte ihm mit weit aufgerissenen augen die zunge entgegen. als friedrich ihm die hand reichte, um ihm aus der grube zu helfen, hatte der fremde nichts besseres zu tun, als die rettende hand des baggerführers zu beschnuppern und abzulecken. das war friedrich zu viel. angeekelt fuhr er zur nächsten grube, in der sich zu seiner erleichterung niemand befand, und baggerte dort weiter. als er zur grube des gestörten zurückkehrte, war dieser verschwunden.
fritz trank an diesem abend wie gewohnt zwölf krügel bier und er rauchte zwei packungen zigaretten. am nächsten morgen bemerkte er, dass sich seine zunge nicht nur – wie nach solchen wirtshausbesuchen üblich – sehr pelzig anfühlte, sondern auch hyperaktive drehbewegungen inner- und außerhalb seines mundes vollzog. dieses anhaltende, unerklärliche phänomen machte aus ihm einen unfreiwilligen nichtraucher und sollte ihn bis zu seinem tragischen ableben begleiten – bei einem spontanen nachtspaziergang durch den wald verwechselte er stockbetrunken ein weißes frisbee mit dem vollmond, stürzte deshalb in eine grube und brach sich dabei das genick. seine zunge drehte noch ein paar ehrenrunden, bevor sie sich zur letzten ruhe begab.