schichten und ton

War es das schlechte gewissen angesichts des nahenden verfallsdatums der „safari-zum-selbst“-gutscheine, die mir meine kolleginnen und kollegen zum runden geburtstag geschenkt hatten, oder doch die reste meiner selbstoptminierungstendenz der stärke 3,7 auf der nach unten hin offenen nowosindromsker psychodrom-skala? eines von beidem oder etwas anderes führte mich in ein camp am ufer eines dunklen waldsees, wo ich an einem gestalttherapeutischen workshop mit der schamanin raiza bergerinowa, einer weitschichtigen verwandten des kosmodrom-gründers fritzi berger mit vielschichtiger verhaltensoriginalität inklusiv mehrschichtigem morbus reptiliensis, teilnahm.

raiza´s schamanisches trommeln, in musikalischer und performativer hinsicht von ihren lieblingsbands motörhead und ondekoza beeinflusst, in kombination mit einem demeterknoblauchaufguss im schwitzzelt brachte mich nicht nur an den rand eines erlösenden hirnschlags, sondern auch auf eine paradoxe interventionsidee für den weiteren workshopverlauf: beim prototyping mit ton sowie naturmaterialien aus wald und wiese wollte ich – abweichend zur eigentlichen aufgabenstellung – nicht das plastisch darstellen, was ich in meinem leben bislang unbewusst vermisst haben könnte, sondern das, von dem ich höchstwahrscheinlich zu viel hatte: mich selbst. also formte ich eine lebensgroße statue aus ton, die auf einer scheiterhaufenartigen vorrichtung gebrannt wurde. danach bemalte ich das ding mit naturfarben der fünf-elemente, beklebte es zur darstellung der körperbehaarung mit elsterfedern und setzte ihm eine schwarze mütze auf, wie sie üblicherweise von labyrinthologen des kosmodrom nowosindromsk getragen wurde. jetzt sah die statue hässlich aus und mir ähnlich. ich war zufrieden.

es war bereits spät abends, als ich mich damit in ein ruderboot setzte, und gemeinsam fuhren wir raus auf den see. dort wollte ich es zum rituellen showdown kommen lassen: eine versenkung mit anschließender versenkung.

in der mitte des see angekommen, dessen dunkles, mooriges wasser keinen aufschluss darüber zuließ, wie tief es an dieser stelle war, nahm ich eine sitzende meditationshaltung ein. In diesem augenblick rammte von unten etwas unser boot. einige die planken wurden dabei eingedrückt und schon drang wasser durch die fugen.

neben uns tauchte ein güllefassähnliches u-boot auf. zwei in lagerhaus-wathosen gekleidete besatzungsmitglieder, die aussahen, als hätten sie sich für ein burleskes laientheater als geishas geschminkt, und mich in ihrer gestik an meine freunde cnaco und cpt. curiosita erinnerten, kletterten aus einer luke. wortlos packten sie meine version aus ton und schleppten sie auf ihr boot, während sie meine version aus fleisch und blut völlig ignorierten. sie verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.

mittlerweile war das ruderboot zur hälfte vollgelaufen, doch der überraschende abgang meines alter egos schien das sinken zu verlangsamen. so saß ich im wahrsten sinne des wortes erleichtert und meditierend im boot, bis mir das wasser bis zu den nasenlöchern reichte. in diesem augenblick sah ich das spiegelbild des vollmondes auf der schwarzen wasseroberfläche. ein besonderer moment, der mich einerseits verwunderte – der letzte vollmond war vor nicht einmal zwei wochen gewesen – und andererseits in seiner kühlen schönheit zum weinen brachte, aber ich war schon dabei, völlig unterzugehen, weshalb sich meine tränen erübrigten.

um nicht zu ertrinken, löste ich mich aus meiner meditationshaltung und stieß ich mich vom sinkenden boot ab. ich schwamm in die richtung, wo ich unser camp vermutete. bald hatte ich das ufer erreicht, merkwürdigerweise an einer stelle, die ich nicht wiedererkannte und die nichts zu bieten hatte außer einem improvisierten tret-u-boot-verleih inklusiv bar namens “grazy sailor”. so vermeintlich schwach die englisch-kenntnisse des betreibers, so ungewöhnlich stark die technik im sanitärbereich des lokals: das gebläse des self-made-händetrockners, unter den ich mich zum trocknen kniete, dürfte aus der konkursmasse eines schmiedewerks stammen.

mit verbrennungen an glatze und ohren stellte ich mich an die theke, wo ich zu meiner überraschung meine lieben freunde cnaco und cpt. curiosita entdeckte. beide sahen aus, als hätten sie versucht, sich als geishas mit landwirtschaftlichem touch zu verkleiden, wobei ihnen die weiße schminke bereits bis in die wathosen geronnen war. sie waren aber nicht zu zweit. zwischen den beiden saß mein alter ego aus ton. jeder der drei hatte vor sich ein getränk.

als ich die zwei bzw. drei grüßte und mich zu ihnen gesellen wollte, taten sie, als würden sie mich nicht kennen. mein erstauen darüber hielt sich angesichts des seltsamen vorfalls mit dem u-boot in grenzen. mein alter ego hatte neue freunde kennengelernt, und ich wollte die dreisamkeit nicht stören, deshalb setzte ich mich an einen freien tisch im hintersten winkel des lokals. bei einer kellnerin, die raiza bergerinowa, der leiterin unseres töpferworkshops, ähnlich sah, bestellte ich eine flasche grüner veltliner, sodawasser und eine portion quargel mit butter.

ich hatte ungefähr eine halbe Stunde vergeblich auf meine Bestellung gewartet, als plötzlich alle lichter im lokal ausgingen. unsicher tastete ich mich in völliger dunkelheit bis zu der stelle vor, wo ich meine vermeintlichen freunde und mein ton-ego vermutete. dieses saß aber allein an seinem platz. als ich das gesicht der figur berührte, spürte ich, dass es völlig trocken war, jedoch dort, wo ich augenhöhlen modelliert hatte, trat flüssigkeit aus. eine wundersame lakrimation?

jetzt wurde mir auch das heftige glühen meiner kopfhaut bewusst. ich konnte es nicht nur fühlen, sondern in der finsternis sogar sehen: ein zarte leuchterscheinung über meinem kopf.

am see der außerordentliche vollmond, jetzt die weinende statue und ein heiligenschein? hatte ich mit dem besuch des waldcamps und der teilnahme an dem töpferworkshop von raiza auch eine eintrittskarte in einen spirituellen zirkus gebucht? da mich der anblick dieses schönen, aber fragwürdigen phänomens über meinem haupt überforderte, schloss ich die augen. ich fühlte mich alles andere als erleuchtet oder gesegnet. ganz im gegenteil: ich hatte unerträglichen hunger, durst und kopfschmerzen sowie schwindelgefühle, weshalb ich mich an der statue festhalten wollte. doch diese kippte widerstandslos vom barhocker, und gemeinsam stürzten wir in die dunkelheit. im fallen bemerkte ich, wie das licht über meinem kopf zu blinken begann, und mir kam ein wort in den sinn: zerbrich. und knapp vor dem aufprall ein noch passenderes: zerbrecht.

p.s.: herzlichen dank an raiza bergerinowa und ihre crew für die praxisnahe workshopgestaltung.

p.p.s.: herzlichen dank an paula sensenheim und ihr team zur erforschung & entwicklung von marienerscheinungen, experimentellen er- und beleuchtungsphänomen sowie anderen paranormalen versuchsanordnungen. wieder einmal waren eure beiträge sehr stimmungsvoll und berührend.

p.p.p.s.: herzlichen dank an die doppelgänger von cnaco und cpt. curiosita bzw. an cnaco und cpt. curiosita.

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noch ein schönes leben
 

Ergebnisse

  • das karpfenauge

    hirnsplitternotiz: heute gelang es uns, eine minikamera in das auge eines karpfens, der seit anbeginn des kosmodroms im teich des forschungszentrums seine gemächlichen, aber unberechenbaren runden dreht, zu implantieren. wir… ...
    das karpfenauge
  • noch ein schönes leben

    mein gehirn zersprang in unzählige scharfe, spitze splitter. Sie drangen durch meine schädeldecke, stießen durch meine augen, schossen aus meinen nasenlöchern und ohren und bohrten sich durch meine wangen. ich… ...
    noch ein schönes leben
  • Vielen Dank

    vielen dank an diejenigen, die bisher nichts von all dem gelesen haben – ganz ehrlich: dass fast alle nichts von uns wissen, beruhigt mich sehr. erwartungsdruck im zuge unserer labyrinthologischen… ...
    Vielen Dank